Silla hätte wie seine Eltern Beamter werden können. Stattdessen wurde der Berliner erfolgreicher Rapper. Er redet, rappt und schreibt offen über seine Probleme mit Alkohol, unter anderem auf seinem Album „Vom Alk zum Hulk“ und in seiner gleichnamigen Autobiographie. Wir haben mit ihm über seinen Weg in die und aus der Abhängigkeit und über Alkohol in der Hip-Hop-Szene geredet.
Wie es begann: Alkoholkonsum in jungen Jahren
KDL: Das erste Mal Alkohol – wie war das für dich?
Silla: Das erste Mal, dass ich voll über die Stränge geschlagen habe, da war ich 13: Ich bin nach der Schule mit meinem Kumpel nach Hause. Meine Eltern waren noch nicht da. Wir sind dann runter in den heimischen Partykeller, haben uns süße alkoholische Getränke reingezogen und haben unterm Diskolicht zu Spice-Girls-Musik Breakdance gemacht.
KDL: Wann hast du mitbekommen, was Alkohol macht?
Silla: Als ich 7 oder 8 war, tanzten meine Eltern im Ski-Urlaub betrunken auf dem Tisch. Ich fand das damals richtig schrecklich, wenn Sie rauchten oder Alkohol tranken. Dann habe ich immer gesagt: „Warum macht ihr das? Ist voll ungesund!“ Als Jugendlicher bin ich dann selber abgedriftet.
KDL: Warum bist du abgedriftet?
Silla: Ich habe mich als Jugendlicher sehr unwohl in meiner Haut gefühlt – ich war ein bisschen dick, hatte Akne und eine Augenfehlstellung. Außerdem habe ich weder Zuhause noch in der Schule Bestätigung bekommen.
„Manchmal kommt heute immer noch der kleine verletzte Junge raus.”
KDL: Und dann hast du Alkohol als Problemlöser benutzt?
Silla: Das ging mit 15 los, als mich meine Freundin für einen guten Kumpel verlassen hat. Ich war so richtig sauer, konnte das aber nicht verarbeiten. Dass das Mädchen sich für einen anderen entscheidet, hat meine Komplexe bestätigt, die ich eh die ganze Zeit hatte. Manchmal kommt heute immer noch der kleine verletzte Junge raus. Der ist aber überdeckt durch den ganzen Sport und die Tattoos.
KDL: Welche Rolle spielten deine Freunde beim Alkohol?
Silla: Viele Menschen leben nicht selbstbestimmt. Das Ventil ist dann oft das Wochenende und selbst, wenn man nicht trinken will, macht man’s doch, weil alle trinken, auch wenn es einem nicht guttut. Ich bekomme Nachrichten von Leuten, die mir schreiben: „Unter der Woche gehe ich zum Sport, aber am Wochenende mit meinen Freunden ist das dann wieder der totale Absturz.“ Bei mir war es aber immer diese einsame Wolf-Nummer: Die Welt war böse zu mir und der einzige, der mich versteht, war der Alkohol.
Eine Nahtoderfahrung – und die Kraft der Musik
KDL: Du sprichst offen über deine Alkoholabhängigkeit. Hat dich das Mut gekostet?
Silla: Eigentlich gar nicht. Ich bin im Hip-Hop groß geworden. In der Szene werden Alkohol und andere Drogen verherrlicht. Im Umkehrschluss fiel es mir überhaupt nicht schwer, offen darüber zu sprechen. Warum sollte ich meine Erfahrungen verheimlichen? Vielleicht kann ich jemandem damit helfen.
„In der Szene werden Alkohol und andere Drogen verherrlicht.”
KDL: Hattest du das Gefühl, dass der Alkohol dir hilft, Texte zu schreiben?
Silla: Das dachte ich immer. Aber alles, was ich nüchtern gemacht habe, ist cooler. Wenn ich um 5.30 Uhr auf dem Laufband stehe und die Instrumentals höre, schreibe ich die Texte schon im Kopf. Künstler, die sagen, auf Alk schreiben sie bessere Songs, benutzen das, um ihren Alkoholkonsum zu rechtfertigen. Bei mir kommen, wenn ich klar bin, die besseren Sachen raus.
KDL: Was war dein schlimmstes Erlebnis mit Alkohol?
Silla: 2009 musste ich mit 4,9 Promille im Blut wiederbelebt werden. Damals wollte ich meine erste CD über ein großes Major-Label rausbringen und das hat dann zugemacht. Da habe ich wieder mit dem Schicksal gehadert und dann gemerkt: Jetzt muss du dein Leben ändern. Um vom Alkohol loszukommen, habe ich mit Sport angefangen und meinen Tagesablauf zum ersten Mal strukturiert. Der Sport war mein Ventil, hat mir Struktur und Selbstbewusstsein gegeben.
Kein Spaziergang: Der Weg aus der Abhängigkeit
KDL: Bist du seitdem "trocken"?
Silla: 2012 bin ich nochmal richtig abgerutscht. Dann habe ich mich mit Hilfe eines Fitnesstrainers in zehn Wochen wieder fit gemacht. Ich sah aus wie Vin Diesel in seiner Paraderolle. Jeder Rückfall ist für mich eine Niederlage. Inzwischen weiß ich, mit welchen Steps ich mich da wieder raushieve.
KDL: Was hilft dir?
Silla: Durchschnaufen, Gespräch suchen und zum Sport gehen oder machen, was mir sonst guttut. Man sollte sich nicht fragen: Warum ich? Du stehst vor einem Problem und eine Lösung muss her. Alkohol kannst du gleich mit einem roten Filzstift wegstreichen, der ist nämlich keine Lösung. Du hast es selbst in der Hand.
„Du hast es selbst in der Hand.”
KDL: Und wenn man es nicht alleine schafft?
Silla: Dann kann man in eine Selbsthilfegruppe gehen oder eine Therapie machen. Aber auch da muss man wirklich mitarbeiten. Wenn man einmal in der Woche bei der Therapie auf die Uhr guckt und sich fragt, wann es endlich vorbei ist, hilft das wenig. Das ist ein harter Kampf und ich bin auch noch nicht am Ende angekommen.
KDL: Du hast auf deiner Brust eine „24“ tätowiert. Was hat es damit auf sich?
Silla: Das ist eine Regel der Anonymen Alkoholiker: „Die nächsten 24 Stunden sind entscheidend, die nächsten 24 Stunden bleibe ich clean.“ Eine der wenigen Sachen, die mir bei denen gefallen hat. Wenn ich das von Tag zu Tag erreiche, steigert das auch mein Selbstvertrauen und hilft mir, an meiner Überzeugung, clean zu bleiben, festzuhalten.
BZgA-Infotelefon
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Telefonnummer: (02 21) 89 20 31
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Nach der Abhängigkeit: Ein Blick zurück
KDL: Wenn du zurückblickst, was hättest du früher gebraucht?
Silla: Mein Vater hätte sich mehr um mich kümmern müssen, dass ich Selbstbewusstsein tanke. Ich will aber nicht anmaßend sein. Er hat sicher alles nach seinem besten Gewissen gemacht und mir nie was Böses gewollt.
KDL: Was würdest du deinem 13-Jährigen Ich sagen, als es zum ersten Mal Alkohol getrunken hat?
Silla: Geh zum Sport. Mach dir einen coolen Körper. Hol dir da dein Selbstbewusstsein.
KDL: Was kann die Schule tun?
Silla: Man sollte nicht nur Mathe und Physik unterrichten, sondern auch sowas wie Lebenskunde: Was kann ich machen, wenn es mal nicht klappt im Leben? Da sollte mal jemand in die Schule kommen, der sagt, was passiert, wenn der Alkohol zum Problem wird. Auch wenn da Schüler sitzen und die Augen verdrehen.
Künstler*in: Ein Job mit Verantwortung
KDL: Siehst du dich heute selbst auch in der Verantwortung?
Silla: Ja, Leute wie ich sind in der Pflicht. Vielleicht hören die Jugendlichen auf einen Künstler wie mich. In der Rap-Szene und auch in der Show-Branche wäre es auch mal cool, wenn in diesem ganzen YOLO- und Partyding Alkohol nicht verherrlicht wird.
KDL: Kommen Fans auf dich zu, die zu viel trinken?
Silla: Durch das Buch und meine Texte bekomme ich pro Tag bestimmt zehn Nachrichten. Dann schreibe ich: „Lass die Flasche einfach stehen. Sie wird dich nicht zum Ziel führen“. Leute schreiben mir aber auch, dass meine Texte sie in schlechten Phasen aufgebaut haben. Das ist auch der Grund, warum ich weiter mache.
KDL: Wann können wir mit neuer Musik von dir rechnen?
Silla: Ich nehme gerade fleißig auf. Die nächste Single kommt noch dieses Jahr raus. Das Album wahrscheinlich nächstes Jahr (gemeint ist 2019, Anm. d. Red.). Die Fans können sich bald auf ein neues Release freuen.