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Alkohol-Storys

Interview Suchtberatung

Was passiert eigentlich bei einer Suchtberatung? Wer kann dort Hilfe bekommen? Diese und mehr Fragen haben wir mit einer Expertin besprochen.

Wer sich in Deutschland wegen einer Alkoholabhängigkeit behandeln lässt, ist im Durchschnitt 46 Jahre alt (Stand 2019). Doch es gibt auch viele Jugendliche, die Probleme dabei haben, ihr Limit einzuhalten.

Wir haben 2015 mit einer Pädagogin und Sozialtherapeutin der ambulanten Suchtberatung Berlin Mitte im Zentrum für integrative Suchthilfe gesprochen. Dort betreute sie neben erwachsenen Klient*innen auch die Jugendsprechstunde.

Suchtberatung: Auch für Jugendliche ein Thema?

Andrea Dörner: Wer zur Jugendsprechstunde kommt, meldet sich einfach beim Empfang und kommt dann direkt zu mir oder meiner Kollegin. Die Beratung ist ein Einzelgespräch. In der Regel kommen Jugendliche in Begleitung von Eltern oder Betreuern, manchmal mit Freund oder Freundin. Die dürfen auf Wunsch mit ins Gespräch. Anfangs geht es einfach darum zu erfahren, was die Klientin oder den Klienten hergeführt hat. Was ist das Anliegen, das Problem oder die Frage?

Oft kommen die Jugendlichen aber gar nicht, weil sie es selbst wollen, sondern weil Eltern, Lehrer oder Betreuer auf sie eingewirkt haben. Dann klopfen wir gemeinsam ab, ob sie nachvollziehen können, dass die sich Sorgen machen. Viele sind sich durchaus bewusst, dass es ein Problem oder Konfliktpotential in der Schule, zu Hause oder mit der WG gibt.

„Viele sind hinterher überrascht und sagen: "Das war ja gar nicht so schlimm!"”

Andrea Dörner, Pädagogin und Sozialtherapeutin

Andrea Dörner: Das erste Gespräch dauert etwa eine Stunde, manchmal auch länger. Wir wollen uns ein möglichst genaues Bild über die Situation machen, lassen unser Gegenüber alles erzählen und fragen auch viel nach.

Den meisten tut das ganz gut. Da sind sich Jugendliche und Erwachsene übrigens ähnlich. Wir fühlen uns wohl, wenn uns jemand gegenübersitzt, der zuhört, aufmerksam ist, Fragen stellt und bei dem wir Interesse spüren. Viele sind hinterher überrascht und sagen: „Das war ja gar nicht so schlimm“.

KDL: Wozu eine Jugendsprechstunde in einer Stelle für Suchtberatung?

Andrea Dörner: Wer zu uns in die Suchtberatung kommen möchte, kann sich entweder telefonisch melden und einen festen Termin ausmachen oder zu einer der Sprechstunden kommen. Da gibt es offene Sprechzeiten für alle und eine spezielle Jugendsprechstunde.

Der Vorteil hierbei: Man trifft bei der Anmeldung und im Warteraum zum Beispiel nicht auf unsere erwachsenen Klientinnen und Klienten, sondern auf andere Jugendliche. Außerdem sind wir hier in der Beratungsstelle zwei Kolleginnen, die speziell die Arbeit mit den Jugendlichen übernehmen. Bei der Jugendsprechstunde sind wir dann auch da.

BZgA-Infotelefon

Suchst du Unterstützung und möchtest mit jemandem über Alkoholkonsum reden? Beim BZgA-Infotelefon zur Suchtvorbeugung kannst du mit Expert*innen sprechen – auch anonym.

Telefonnummer: (02 21) 89 20 31
Preis: Preis deines Telefonanbieters für Gespräche in das deutsche Festnetz

Montag bis Donnerstag: von 10 bis 22 Uhr
Freitag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr

Echte Hilfe – ganz ohne erhobenen Zeigefinger

Andrea Dörner: Die Jugendsprechstunde ist für alle jungen Menschen offen und die Beratung immer kostenlos. Wenn gewünscht, bleibt sie übrigens auch anonym. Wir brauchen keine Nachnamen.

Natürlich beraten wir auch, wenn noch nichts Schlimmes passiert ist. Man muss zum Beispiel nicht wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gewesen sein. Und es gibt auch keine Einschränkungen, was die Suchtmittel angeht. Da kann es um Alkohol und Zigaretten gehen, aber auch um Cannabis oder Ecstasy.

Wir haben hier manchmal Schülergruppen, die ein Referat vorbereiten und sich informieren wollen. Ich hatte auch schon ein paar in der Sprechstunde, die sich um Freunde oder Eltern Sorgen gemacht haben und wissen wollten, wie sie helfen können. So kann die Sprechstunde auch genutzt werden.

„(...) wir versuchen, jedem wertfrei und ohne moralische Keule zu begegnen.”

Andrea Dörner, Pädagogin und Sozialtherapeutin

Andrea Dörner: Und wer mit seiner oder ihrer eigenen Geschichte kommt, der kann hier ganz offen reden. Zum einen, weil wir eine Schweigepflicht haben. Es erfährt also niemand, worüber wir gesprochen haben. Und zum anderen, weil wir hier akzeptierende Suchtarbeit betreiben. Das bedeutet, dass wir versuchen, jedem wertfrei und ohne moralische Keule zu begegnen. Man respektiert die Lebenswelt und die Erfahrungen des Gegenübers.

Abstinenz-Apostel, das ist nicht unser Job. Trotzdem ist das nicht nur Spaß in so einer Beratung. Ich sage den Jugendlichen schon ganz klar, was ihr Konsum für Konsequenzen für ihr Gehirn oder ihre Organe haben kann.

 

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Gespräch bei der Suchtberatung: nur der erste Schritt

KDL: Wie geht es weiter, was passiert nach dem ersten Gespräch?

Andrea Dörner: Das hängt sehr stark davon ab, was einen hergeführt hat. Wenn es um Fragen oder Unsicherheiten geht, die man schnell ausräumen kann, reicht das eine Gespräch aus. Manchmal haben die Jugendlichen auch mit jemandem eine freiwillige Absprache getroffen, dass sie zum Beispiel mindestens dreimal kommen. Dann würde man weitere Termine vereinbaren.

Außerdem haben wir Reduktionsprogramme für Jugendliche, die noch nicht suchterkrankt sind, aber ihren Konsum bei Alkohol oder Cannabis einschränken wollen. „Break“ heißt das Programm zur Alkoholreduktion und es besteht aus vier Terminen, „Realize it“ zur Reduktion des Cannabiskonsums mit insgesamt sechs Terminen. Bei jedem gibt es bestimmte Programmpunkte und feste Themen. Dadurch bekommt so eine Stunde eine Struktur.

Wenn in den Gesprächen deutlich wird, dass bereits eine Abhängigkeit vorliegt, würden wir eine stationäre oder ambulante Therapie vermitteln. Da gibt es übrigens auch jugendspezifische Angebote.

„Manchmal macht es auch Sinn, sich mit Leuten zu umgeben, von denen man sich was abgucken kann.”

Andrea Dörner, Pädagogin und Sozialtherapeutin

KDL: Was empfehlen Sie jemandem, der merkt, dass es ihm oder ihr manchmal schwer fällt, im Limit zu bleiben?

Andrea Dörner: Zuerst mal sich genauer zu beobachten, gerne auch mal aufzuschreiben, wann, was und wie viel man getrunken hat. Dann überlegen: Wann trinke ich keinen Alkohol? Trinke ich zum Beispiel, wenn eine Klassenarbeit ansteht? Die Situationen, in denen nicht getrunken wird, sind ein Potential, das man ausbauen kann. Was schmeckt mir denn noch außer alkoholischen Getränken? Um dann nämlich abzuwechseln.

Manchmal macht es auch Sinn, sich mit Leuten zu umgeben, von denen man sich was abgucken kann. Wen habe ich zum Beispiel im Freundeskreis, der nichts oder wenig trinkt. Und beim nächsten Mal lieber mit dieser Person zur Party gehen.

 

Beratungsstelle finden

Möchtest du mit jemandem vor Ort sprechen? Über den Beratungsstellenfinder der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen findest du speziell geschulte Ansprechpartner*innen in deiner Nähe.

Ganz wichtig, hast du denn schon herausgefunden, wie viel Alkohol du verträgst? Bis zum wievielten Bier oder Drink hast du den Eindruck, du kriegst das noch ganz gut hin? Ab dem wievielten ist es dann eigentlich vorbei? Und wenn du weißt, drei Bier gehen, dann überlege, wie man die in die Länge zieht. Zum Beispiel später mit dem Trinken anfangen oder zwischendurch was Nichtalkoholisches.

Viele der Jugendlichen, mit denen ich rede, wissen eigentlich schon, wie es gehen könnte, sind sich dessen nur manchmal nicht bewusst und setzen es halt nicht immer um. Da kann so ein Beratungsgespräch helfen. Auch wenn es „Suchtberatung“ heißt: Man muss nicht süchtig sein, um zu uns zu kommen. Wir können den Jugendlichen was an die Hand geben, damit sie sich der Risiken bewusster sind und dann gar nicht so viel passiert.

  • Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit gGmbH (o. J.): Ambulante Suchtberatung Mitte, [online]
  • Dauber, H., Künzel, J., Schwarzkopf, L. & Specht, S. (2020). Suchthilfe in Deutschland 2019. Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). München: IFT Institut für Therapieforschung (PDF), [online]